Äthiopien II

Salam,

Unser Samstag begann mit dem gemeinsamen Frühstück im JRS Gästehaus. An dieser Stelle möchten wir euch auch kurz berichten, wie man sich unsere Unterkunft in Addis Abeba vorstellen kann:
Das Haus liegt in einem nach hinten versetzten Hof, zwischen den Wellblechhütten, welche die Straßenränder der Stadt säumen. Das geräumige Gebäude mit ca. 20 Gästezimmern und hauseigener Kapelle, hat neben zwei Gemeinschaftsräumen auch einen einfachen Speiseraum, indem die Bewohner zu den Mahlzeiten zusammenkommen. Unsere Zimmer sind groß und sporadisch mit „Retro-Möbeln“ ausgestattet. Die alten Metallbetten sind mit einer Länge von 1,70m nicht unbedingt für große Europäer gedacht, nach den langen und anstrengenden Tagen schlafen wir darin aber trotzdem sehr gut. Für den Luxus einer warmen Dusche müssen wir das Wasser etwa zwei bis drei Stunden vorher anheizen. Obwohl man diese Unterkunft bei uns wohl als schäbige Absteige bezeichnen würde, könnten sich wohl nur wenige Afrikaner diese Unterkunft leisten. Denn auch wenn man hier wirklich nicht zimperlich sein darf was Spinnen und sonstige Krabbeltierchen im Zimmer betrifft, nehmen wir diesen Luxus den wir hier im Gegensatz zu den Bewohnern von Addis genießen, selbstverständlich sehr dankbar an. Mehr Luxus würde die Situation für uns noch bedrückender machen, denn auf den Straßen von Addis haben diejenigen die in einer der winzigen Blechschachteln (s.h. Foto) wohnen noch ein komfortables Bett, verglichen mit denjenigen die direkt an den staubigen verdrecken Straßenrändern schlafen. Wir fragen uns was diese Menschen von ihrem Leben haben und wie es in dieser Stadt bei den rasant wachsenden Bevölkerungszahlen weitergehen soll…

Im JRS Gästehaus gibt es kein Internet, deshalb machten wir uns nach dem Frühstück auf die Suche nach einem Internetcafé um den ersten Blogbeitrag für euch bereitzustellen. Während Peter die umliegenden Straßen und Gassen erkundete, um viele interessante Bilder zu machen, versuchte Anna in dem überfüllten Internetcafé mit ständig zusammenbrechenden Internetverbindungen die Bilder für den Blog hochzuladen. Viele freundliche Äthiopier versuchten ihr dabei zu helfen, den PC mit stabilem WLAN zu verbinden. Hilfsbereit wie sie waren, machten sie sich auch, wenn sie keine Ahnung hatten schnell daran sämtliche Einstellungen an ihrem PC zu verändern. Nach vielen Versuchen glückte es dann allerdings doch irgendwann die Bilder hochzuladen. Damit verbrachten wir fast den ganzen Vormittag.

Um die Stadt und das Leben der Menschen hier besser kennen zu lernen, sahen wir uns in unserem Viertel ein wenig um. Zwischen kleine Wellblech-Verschlägen, winzigen Läden, provisorischen Autowerkstätten am Straßenrand und zahlreiche hupenden Taxis gab es jede Menge zu entdecken. Von vielen Seiten winkte man uns freundlich zu. Wir wurden eingeladen kleine Straßenverkaufsläden, Tiermärkte oder Chilimühlen näher anzuschauen. Mit einem Mix aus Amharisch (der Äthiopischen Landesprache) Bayerisch, Englisch und ein wenig Köpersprache verstanden wir uns gut mit den freundlichen Einheimischen.


Beim Mittagessen, luden uns Grace und Philane ein mit ihnen am Nachmittag die Stadt zu erkunden. Grace kommt aus Uganda und Philane aus Simbabwe. Die beiden machen hier in Addis Abeba ihren Master in „Peace and Security“ und wohnen auch im JRS Gästehaus. Sie erklärten uns viel rund um das Leben in der Stadt. Addis Abeba liegt auf ca. 2500m und hat wahrscheinlich 5 Millionen Einwohner. Grace geht davon aus das es vermutlich noch viel mehr sind, da die Zahlen bereits veraltet sind, die Bevölkerung rasant wächst und die vielen Kinder in den Statistiken gar nicht auftauchen.

Aufgrund der Entwicklung der Bevölkerung sorgen sich viele um die Wasserversorgung der Stadt in den kommenden Jahren. Denn bereits jetzt kommt es immer wieder zu Engpässen. Auch an vielen anderen Stellen, wie der Entsorgung von Müll oder der Verfügbarkeit von Sand als Baumaterial, stößt die Stadt bereits jetzt an ihre Kapazitätsgrenzen.


Wie Grace und Philane uns berichteten, wünschen sich viele die Zeiten unter Kaiser Haile Selassie I. zurück. Die Äthiopier verehren ihren Kaiser der sich während der Italienischen Besatzung (1935-1941) im Exil vor dem Völkerbund für Äthiopien einsetzte, und schließlich mit Unterstützung von englischen Truppen, das Land befreite immer noch. Unter seiner Herrschaft sei das Leben einfacher gewesen, berichten viele.


Da wir gerne mehr über die Geschichte und die Entwicklung des Landes erfahren wollten, beschlossen wir mit Grace und Philane das Ethnographische Museum zu besuche. Dort lernten wir viel über die verschiedenen Traditionen und Bräuche der Volksstämme. Ein kleines ca. 6 Jahre altes schweigsames Mädchen folgte uns vom Eingang des Museums an. Anfangs lächelte sie uns nur schüchtern zu, doch mit der Zeit fasste sie Vertrauen. Immer öfter ging sie voran, beeindruckt von so viel Courage folgten wir unserer schweigsamen Museumsführerin. Als wir eine Raum mit traditionellen Instrumente erreichten, nahm sie Anna bei der Hand und führte ihr zunächst mit Gesten jedes Instrumente einzeln vor. Voll Stolz begann sie dann leise und vorsichtig die Instrumente zu benutzen, sie trommelte rasselte und zupfte an Seiten, um uns die Instrumente zu erklären. Am Ende der Ausstellung hat sie uns dann doch noch ihren Namen verraten: Helen.


Anschließend besuchten wir noch das Äthiopische Nationalmuseum. In diesem Gebäude sind prähistorische Funde ausgestellt, darunter auch ein Modell des Skelets von Lucy. Das ca. 3 Millionen Jahre alte Skelett der nur 1,07 Meter großen Frau wurde im Nordosten von Äthiopien, in der Dankali-Ebene entdeckt.


Abends widmeten wir uns wieder unserer nun schon täglichen Routine, Peter bearbeitete Fotos und sicherte diese, während Anna begann die Ereignisse des Tages für den Blog festzuhalten. Am späten Abend machten wir uns dann noch einmal auf den Weg zum Internetcafé, um unsere Mails zu checken und anschließend den Tagesbericht bei einer wohlverdienten äthiopischen Feierabend-Halbe zu überarbeiten.

Für Sonntagmorgen, hatten wir spontan unsere ersten Interviews angesetzt. Denn als Grace und Philane uns erzählten, dass sie „Peace and Security“ studierten, kam uns die Idee die beiden zu den Themen des Peace Leader Kurses zu interviewen. Eigentlich sollten wir hauptsächlich in den Lagern Interviews führen, da wir aber aufgrund des bürokratischen Aufwands, erst am Montag in das erste Lager reisen können, bleibt uns dort nur wenig Zeit. Diese Zeit möchten wir dann wirklich für die Themen nutzen, zu denen wir nur Flüchtlinge, Camp Leiter und Sozialarbeiter vor Ort befragen können. Nachdem Karen, die ja eigentlich die ganzen Interviews organisiert und geplant hätte jetzt leider auch nicht dabei sein kann, müssen wir ohnehin improvisieren und haben beschlossen so viel wie möglich bereits hier in Addis Abeba zu erledigen.

Nachdem Frühstück bereiteten wir uns also in der kleinen Bibliothek des Gästehauses auf das Interview mit Grace vor. Anhand Karens Liste mit den gut 20 Interviewthemen, hat sich Anna mittlerweile in die Themenbereiche eingearbeitet und Fragen für die ersten Interviews vorbereitet. Da uns neben Karen auch noch das Mikrofon, Fieldrecorder und die Funkstrecke des Keniateams fehlte, musste Peter auch hier improvisieren und Haupt-, Detail- und Tonaufnahme gleichzeitig übernehmen.

Grace brachte viele persönliche Erfahrungen mit Konflikten und Frieden aus ihrer Kindheit in Uganda ein. Nach diesem ersten spannenden Interview warteten wir auf Philane der offensichtlich verschlafen hatte. Das Afrikaner nicht unbedingt die pünktlichsten sind, hatten wir schon oft gehört, als er allerdings eineinhalb Stunden nachdem er uns versprochen hatte „gleich“ da zu sein, immer noch nicht bei uns war, beschlossen wir das Interview zu verschieben.

Da wir noch mehr von Addis Abeba sehen wollten, machten wir uns auf den Weg zum Mercato, der zu den größten Märkten Afrikas zählt. Eingequetscht in einem Bus fahren wir bis zu einem der Hauptplätze im Stadtzentrum um von dort aus zu Fuß zum Mercato zu gehen. Wieder begeistern uns die freundlichen Menschen die uns denen wir begegnen. Trotz ihrer schweren Schicksale wirken sie fröhlich, begrüßten uns mit ihren spärlichen Englisch-Kenntnissen und behandelten uns respektvoll. Auch wenn am Sonntag nur weniger als die Hälfte der Stände geöffnet waren, herrschte in manchen Ecken des Marktes reges Treiben.

Weit und breit waren wir die einzigen westlichen Besucher. Bald kam Sefarus mit uns ins Gespräch, der uns durch die verwinkelten engen Gassen führte. Er zeigte uns einige Ecken, die wir alleine vermutlich nie gefunden hätten. Geschäftstüchtig wie die Menschen hier sind, verlangte er am Ende der Führung, die er erst als Gratis angepriesen hatte,-dann doch ein Trinkgeld von uns. Auf dem Markt der so groß wie ein ganzes Stadtviertel ist, gibt es alles wie z.B.Wasserhähnen, Handyersatzteile, Gewürze, Weihrauch, Gemüse, Porzellan, Kaffee, Kleidung, Hühner…

Auffällig sind auch die vielen Chat-Verkäufer. Chatblätter werden hier überall gekaut und haben ähnlich wie Kokablätter eine leicht aufputschende und berauschende Wirkung. Die Verkäufer preisen ihre Ware mit „Eat and dream for one night“ an.


Zum Mittagessen wollten wir heute in der Umgebung des Marktes ein traditionell äthiopisches Gericht ausprobieren. In einem Restaurant in dem niemand Englisch sprach, wurde uns „Lup Tibs´“ empfohlen. Nachdem wir das Gericht bestellt hatten, zog Peter gleich los um mit seiner Kamera Eindrücke der Äthiopischen Küche einzufangen. Schnell verstand er sich mit den Köchinnen, die ihm gleich die Zubereitung von Lup Tibs zeigten. Das mit Zwiebel, Rosmarin und Knoblauch gewürzte Rindfleisch wird in einem speziellen Porzellangefäß serviert, darin schmort es über glühenden Holzkohlen. Dazu gibt es Injera (ein luftiger Sauerteig „Pfannenkuchen“) und Semmeln. Brot und Fleisch werden dann zusammen in eine scharfe Chilisoße eingetunkt. Wir waren beide begeistert von diesem Gericht.


Zurück im JRS Gästehaus, erklärte sich spontan der Priester Gorum Tesfaye bereit, sich von uns interviewen zu lassen. Dem Prediger gelang es sehr begeisternd und mitreißend darzustellen, was Friede bedeutet und wie jeder einzelne in seinem Umkreis Frieden stiften kann. Anschließend kamen wir mit dem erfahrenen Jesuiten noch ins Gespräch und er berichtete uns von der Situation in Eritrea und den mehr oder weniger ruhenden Konflikten im Grenzgebiet. Dieses Gespräch stimmte uns schon auf die kommenden Tage ein, die wir in den Flüchtlingslagern Kobe und Mai Aini verbringen werden.
In der Früh um 4 werden wir morgen von unserem Fahrer abgeholt, um mit einem UN Flugzeuge an die südliche Grenze des Landes fliegen. Auf dem Weg dorthin fliegt man über Gebiete in denen Rebellen immer wieder für Unruhen sorgen, täglich müssen die erfahren Piloten der UN deshalb entscheiden ob Flüge möglich sind, oder inwieweit man diese Gebiete umfliegen muss. Dort im Grenzgebiet zu Somalia und Kenia werden wir bis Mittwoch im Flüchtlingslager „Kobe“ sein.

Anna

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